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DIE KUNST DES BEWUSSTEN ESSENS

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Marco Piroddi ist Teil der Cooks’ Alliance, einem Netzwerk von Köch*innen der Slow-Food-Organisation Schweiz. Die Bewegung setzt sich für den Schutz der Biodiversität ein und gegen soziale und politische Ungerechtigkeiten der Lebensmittelbranche. Bei der Umsetzung in der Küche, geht es dabei vor allem um das Vermitteln von Werten.

 

Beim Eintreten der Werkstatt Chur fällt der rot weisse Sticker neben der Eingangstür kaum auf. Die Düfte, welche aus der kleinen Küche wehen, lassen den Magen knurren. Marco Piroddi schreitet mit
selbstbewussten Schritten in den Gastraum. Der Teller mit dem Schokoladentörtchen sieht in den Händen des grossgewachsenen Sarden winzig aus. Lässig steuert er einen der hölzernen Tische an und begrüsst die wartenden Gäste mit einem entspannten «Guten Abend».

Den Teller mit dem Dessert stellt er in die Mitte des Tisches. Die Gäste haben Fragen zu den Gerichten, die sie bereits gegessen haben. Heute hat Piroddi Zeit, also geht er persönlich zum Tisch. Diese
Situation ist kein Einzelfall, denn einige der verwendeten Produkte sind vielen Gästen unbekannt. Es sind Slow-Food-Produkte.

 

Marco Piroddi (Foto: Yanik Bürkli)

 

Zurück in der Küche greift Piroddi nach einem in der Metallleiste steckenden Zettel. Die Bestellung verlangt einen Mascarpin, eine Polenta und ein geräuchertes Urkarotten-Mousse. Nicht alle dieser Gerichte enthalten Slow-Food-Produkte. Müssen sie auch nicht. Die Regelmässigkeit und Ausführung der Verwendung von Slow Food Produkten liegt komplett bei den Köch*innen der Cooks’ Alliance.

Mit geübten Bewegungen holt Piroddi unterschiedliche Teller hervor und stellt sie auf die Anrichte vor ihm. Konzentriert fängt der Küchenchef an, seine Gerichte zusammenzustellen. Slow-Food-Produkte in seinem Menu einzubauen, nur weil es Slow-Food-Produkte sind, käme für ihn nicht infrage. «Ein Slow-Food-Markenzeichen an sich gibt mir noch nicht das Interesse an den Produkten. Ich schaue mir die zuerst einmal an.»

Überraschenderweise erzählt der Sarde, dass die Umsetzung der Produkte in den Menus nicht schwierig sei, im Gegenteil;

«Die Produkte sind nicht kompliziert, oftmals handelt es sich um Fertigprodukte. Eine Wurst, ein Ziegenkäse etc. Ich schaue mir das Produkt an und überlege, was der Wert davon ist und wie dieser erhalten werden kann.»

Mit einem Löffel befüllt er eine kleine Schale mit Mascarpin und fügt hinzu: «Meistens, so wie ich das hier bisher erlebt habe, ist das Produkt so interessant, dass es für sich selbst steht. Das macht es sogar einfacher zu benutzen.»

Während er den Spritzsack mit dem Karottenmousse in die Hand nimmt, erklärt er, die Schwierigkeit liege nicht in der Verwendung der Produkte sondern bei der Übermittlung der Werte. Den Menschen geht es oft darum, etwas unmittelbar zu finden.  «Leute wollen immer Vieles und Besonderes gleichzeitig haben. Das geht aber nicht», erklärt er.

 

AUFNAHMEKRITERIEN EINMAL ANDERS

Mit dieser Einstellung widerspiegelt er die Werte von Slow Food selbst. Dies ist unter anderem einer der Kriterien, die für eine Aufnahme in die Cooks’ Alliance essentiell sind. Köch*innen, welche Teil der Bewegung sind, sollen die Philosophie von Slow Food teilen.  Es wird darauf geachtet, woher Produkte bezogen werden und wie Menus gestaltet werden.  Als spezifisches Kriterium gilt der Einbezug von Slow-Food-Produkten. Fabian Krafft unterstreicht nochmals die Wichtigkeit des Geschichten Erzählens. «Das heisst, den Gast im Restaurant abzuholen, diesen neugierig zu machen und auch ein Bewusstsein zu schaffen».

 

 

Marco erzählt Geschichten auf seine eigene Art und Weise. Das seine Gerichte nicht jedem schmecken, liegt für ihn dabei auf der Hand. «Das ist jetzt nicht arrogant gemeint, aber man hat als Koch eine Verantwortung seine Werte mitzugeben und damit einen Diskurs. Im besten Fall kommt es dann zu einer Entwicklung bei den Gästen. Es ist nicht in meinem Interesse, alle Kunden abzuholen. Mein Interesse ist es, etwas Neues zu zeigen».

Mit diesen Worten stellt er den ersten Teller auf die Service-Theke. Die helle Farbe des Mascarpin wird durch Tupfen des Holunderblüten Gelées durchbrochen. Als nächstes folgt der Teller mit dunkelorangen Mousse, beinahe verdeckt von Brunnenkresse, Portulak und den Radieschensprossen. Umrandet wird das Gericht von einer Balsamico-Crème – das geräucherte Karottenmousse ist angerichtet. Noch während Piroddi das dampfende Polenta mit der pikanten Peperoni Coulis bedeckt und mit getrocknetem Knoblauch garniert, landet seine linke Hand bereits schwungvoll auf der kleinen Glocke, die den Service ruft. Mit dem Herausstellen der Polenta kommt bereits der Service reingerauscht. Nach einem letzten Kontrollblick des Küchenchefs werden die Gerichte zu den Gästen getragen. Zufrieden trocknet sich der Piroddi die Hände an einem Geschirrtuch und späht dann hinüber zum Gastraum.

«Die beste Reaktion ist dieser Wow- oder Überraschungseffekt. Unsere Karte ist so einfach geschrieben wie möglich. Dies erzeugt die grösste Spannung.»

Nicht nur die clevere Art von Piroddi ein Menu aufzubauen, sondern auch die relative Unbekanntheit von Slow Food ist ein Grund für die überraschten Gesichter der Gäste. Fabian Krafft begründet diesen
Umstand mit verschiedensten Aspekten. Zum einen läge das daran, dass in der Schweiz eine weniger grosse Akzeptanz für die Bewegung herrsche wie beispielsweise in Italien, dem Gründungsland von Slow Food. «Slow Food ist natürlich kein Massenvereinsthema und wird eine Nische bleiben», erklärt Krafft weiter. Für die Zukunft von Slow Food wünscht sich Fabian ein Bewusstsein für gute, saubere und faire Gerichte. Der 39-Jährige fordert die Schweizer Bevölkerung dazu auf, nicht nur auf Billigpreise zu achten, sondern die kleinen Ressourcen zu unterstützen. «Nur so können wir die Vielfalt und die Biodiversität in der Genusslandschaft erhalten».

Nachdem Piroddi sichergestellt hat, dass im Gastraum alles zu seiner Zufriedenheit läuft, stellt er sich wieder zurück in die Küche. «Die meisten Köche haben das Feeling von Nachhaltigkeit.» Er macht eine kurze Pause und beginnt an einem der dreckigen Töpfe zu schrubben. «Daran ist nichts Falsches, aber es ist eine Luxusnische. Wer kann sich überhaupt überlegen – was esse ich?» Mit nachdenklichem Gesicht stellt er den Topf zur Seite.

«Dieser Luxus ist nicht selbstverständlich.»

Slow Food sei dabei an sich nicht besser oder schlechter als beispielsweise biologische oder organische Produkte. «Es ist eine Parallele” so Piroddi. “All diese Parallelen haben grundsätzlich dasselbe Ziel: Produkte nach verschiedenen Punkten zu evaluieren.»

Abschliessend fragen wir den Küchenchef nach seiner Meinung zu Fast Food. Seine Antwort fängt mit einem lauten Lachen an. Fast Food sei nur ein Begriff, genauso wenig geschützt wie zum Beispiel Gourmet. Im Grundsatz sei Fast Food nur eine Bezeichnung für schnelles, bodenständiges Essen. «Wenn man so will, könnte man sagen, dass wir (hier) auch Fast Food sind. Du bestellst und in zehn Minuten ist dein Essen bereit!»

Mit diesen Worten widmet sich Marco Piroddi dem nächsten Zettel in seiner Metalleiste. Beim Verlassen der Werkstatt Chur kommen wir nochmals bei der Eingangstüre vorbei. Diesmal bemerken wir den rot-weissen Sticker.

 


 

Marco Piroddi wird 1984 in Sardinien geboren und zieht mit seiner Familie als Teenager nach Deutschland. Dort beendet er die Schule und macht eine Ausbildung zum Koch. Seither hat er in verschiedensten Gourmet-Küchen in Deutschland, Frankreich und in der Schweiz gearbeitet.

Heute lebt der Sarde in Zizers mit seiner Frau und seinem jungen Sohn. Er arbeitet seit 2022 als Küchenchef in der Werkstatt Chur. Neben dem Kochen praktiziert er ausserdem seine Leidenschaft für Kunst. Die abstrakten Gemälde kann man ebenso auf Leinwänden in Galerien betrachten, wie auf Tellern von geschmackvollen Kreationen.